UN 5/2021
»Befreit« von Würde und Leben
Die unsägliche Rede des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker vom 8. Mai 1985, als er die Kapitulation der Deutschen Wehrmacht als »Tag der Befreiung« umdeutete, ist vielen noch in unguter Erinnerung.
Es steht außer Frage, dass die Niederlage Deutschlands für viele Menschen als »Befreiung« empfunden wurde – dies gilt jedoch nicht für die Millionen Deutschen, für die ein unvorstellbares Martyrium begann.
Zu den viele Jahre verschwiegenen Unrechtstaten der Siegermächte gehören die sogenannten »Rheinwiesen-Lager«.
Zum Ende des Zweiten Weltkrieges befanden sich rund 11 bis 12 Millionen Deutsche in Gefangenschaft, etwa 3,8 Millionen in amerikanischer, davon 1,67 Millionen in den »Rheinwiesen-Lagern«.
Während man über die schrecklichen Zustände in den sowjetischen Lagern annähernd informiert war, wusste man über das Schicksal der in westlichen Lagern Inhaftierten zunächst wenig. Das lag an der gezielten und selektiven Informationspolitik der westlichen Besatzer.
So blieb das Schicksal der erbärmlich untergebrachten Kriegsgefangenen über Jahrzehnte ein Tabuthema.
Die sogenannten »Rheinwiesen-Lager« (offizielle amerikanische Bezeichnung »Prisoner of War Temporary Enclosure« PWTE) waren Gefangenenlager der USA, Großbritanniens und Frankreichs im Rheinland.
Auf Wiesen und Ackerflächen wurden jeweils zehn bis zwanzig sogenannte »Camps/Cages« mit Pfosten und Stacheldraht errichtet. Sie waren jeweils für fünf- bzw. zehntausend Gefangene geplant. Die Gesamtzahl reichte bis zu 150.000 an einem Standort.
Auf den Wiesen und Äckern um Rheinberg beispielsweise waren mehr als 100.000 Männer zusammengetrieben und zusammengepfercht.
Die in kleinen Regionallagern gesammelten Soldaten und führenden NS-Parteimitglieder mussten anschließend in langen Kolonnen zu den Rheinwiesen marschieren oder wurden stehend in LKWs dorthin transportiert.
Zum einen waren die Alliierten mit der großen Anzahl der Gefangenen überfordert, auf der anderen Seite wollten vor allem die Amerikaner aus den 1,67 Millionen Gefangenen – darunter auch Frauen und viele Hitlerjungen – »NS-Belastete« finden.
In den amerikanischen Lagern gab es für die Gefangenen in den ersten Monaten keinerlei Unterkünfte, keinen Schutz vor Regen oder Wind. Ihnen war bei der Inhaftierung die gesamte Feldausrüstung weggenommen worden. Sie mussten sich windgeschützte Schlafplätze mit den bloßen Händen oder mit leeren Konservendosen schaffen.
Eine Lagerinfrastruktur wie Küchen, Latrinen, Krankenhausreviere war über Monate hinweg nicht vorhanden. Auch die Versorgung in den Monaten April und Mai war nur unregelmäßig – ab und zu gab es gechlortes Rheinwasser.
Die Lage war so katastrophal, dass es immer wieder verzweifelte Ausbruchversuche gab.
Vom Lager Rheinberg berichtet ein Leutnant vom Fluchtversuch zweier Unteroffiziere: »Sie hatten den Drahtzaun schon hinter sich. Dann wurden sie gestellt und von Taschenlampen der Posten angestrahlt. Sie hoben beide Hände. Es half ihnen nichts. Die Lagerinsassen hörten die MP rattern und sahen die Leuchtspurmunition in die dürren Körper fahren.«
Erst die Nachforschungen des kanadischen Historikers James Bacque förderten das ganze Ausmaß – fast eine Million in amerikanischer und französischer Gefangenschaft »verstorbene« deutsche Soldaten – zutage.
Ihrer und der Millionen Toten nach der »Befreiung am 8. Mai 1945« wollen wir gedenken – wenigstens das sind wir ihnen schuldig.